Zeitschrift Scriptura - Band 2013
von: Stefanie Gschwend

Das Haupt der Medusa

Mythen und Märchen
Das blutrote Fleischstück wird verzogen und zerquetscht, quillt zwischen den Fingern hervor und verzerrt sich zu verschiedenen Formen. Einmal pressen die Finger die Masse mit voller Kraft zusammen, so dass das Rot den Hohlraum der Hand füllt und aus den Zwischenräumen hervorplatzt, ein anderes Handpaar bearbeitet die Masse scheinbar sanfter und hält sie in den Fingerspitzen, um leichte Modulationen anzubringen.
Die mehrteilige Serie «Press Out» zeigt Hände, die einen Klumpen Fleisch bearbeiten. Mit wenigen Strichen bildet sich eine formelhafte Gestik eines Gefühlsausdrucks, die im Zusammenspiel mit der Symbolik von Fleisch, verschiedene Assoziationen auslösen kann. Susanne Fankhausers Arbeiten sind zeichenhafte Verdichtungen, die mit Gesten und Zeichen spielen. Ihr Rohmaterial sind Abbildungen, die sie in Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und im Internet findet, und aus denen sie ihre eigene Bildsprache formt. In ihren neueren Arbeiten tauchen vermehrt auch selber fotografierte und biografische Motive auf, beispielsweise in «Kleine Stütze», wo sie ihren eigenen Arm und ein Holzstückchen, das ihr Sohn fand, verwendet. Sie trifft eine Auswahl von Bildern und Ausschnitten, isoliert Motive und speichert diese in ihrem digitalen Archiv. Später bearbeitet sie die Vorlagen am Computer, modifiziert, reduziert, grenzt ein oder aus, bis sich markante Liniengebilde, Flächen oder Silhouetten herausbilden. Es bleiben Formen, die frei von ihrem ursprünglichen Kontext stehen und in Kombination mit anderen Sujets oder Bildteilen, neue, eigenständige Bildinhalte generieren. Ist ein Werk fertig, projiziert sie die Bilder auf Papier oder die Wand und zeichnet die Linien von Hand nach oder druck sie aus. Zeichen und Symbole finden sich auch in anderen Arbeiten Susanne Fankhausers, die in ihrer Konstellation Erinnerungsbilder schaffen. Die Inspirationen liegen in Geschichten, Märchen oder Mythen, aber auch in zeitgenössischer Literatur oder in persönlichen Erlebnissen. «Looking Glass» heisst ein Werk, in dem sich Schlangen rund um einen Spiegel winden, ineinander verdreht sind und einen dichten Kranz bilden. Eine Frau hält ihn in der Hand, doch ihr Spiegelbild bleibt verborgen. Das Bild erinnert an das Gemälde „Medusa“ von Caravaggio und die gleichnamige Geschichte der griechischen Mythologie. Die Assoziationen um das Werk «Der Baum des Lebens» greifen noch weiter, da es zahlreiche Darstellungsweisen dieses Baumes gibt und ihm viele Bedeutungen anhaften. Er ist ein verbreitetes Symbol in der Religionsgeschichte, dient als Mythenmotiv und wird in Märchen als Baum mit goldenen Äpfeln dargestellt. Er erinnert aber auch an die Nester der Webervögel in Namibia, die wie schwere Ballone von den Ästen baumeln und mit denen die Männchen den Weibchen imponieren. Das Bild bleibt uneindeutig, was durch die Bildanleihen und die zeichenhafte Verdichtung verstärkt wird. Gerade dadurch wird die Imagination des Betrachters umso mehr anregt. Denn ein Symbol hat für jeden eine andere Bedeutung, löst andere Vorstellungen aus und ist von der individuellen Prägung sowie dem kulturellen Hintergrund abhängig. Susanne Fankhauser spielt mit diesen Symbolen, Zeichen und ihrer Vieldeutigkeit. Es gibt keine klare Zuweisung zu Original oder beabsichtigtem Kontext. Anleihen in diesem Bild sind die schweren goldenen Beutel die am blattlosen, nach unten geneigten Baum hängen. Sie stammen aus Thomas Hirschhorns Arbeiten „Ruheraum mit Tränen und Abtropfmaschine“ und erweitern das Werk um eine Bedeutungsebene: Hirschhorns Maschine tropft, weil es zuviel Wasser hat und sie überläuft. Damit weist er auf den Informationsüberschuss und die Bilderflut durch die Medien und ihre Wirkung in der Gesellschaft hin. Und die Tränen fliessen, wenn man sich freut, berührt oder traurig ist. Indem Fankhauser die Tränen vom Baum des Lebens tropfen lässt, reflektiert sie damit auch eine gesellschaftskritische Haltung.

Mit ihren aktuellen Arbeiten schlägt Susanne Fankhauser neue Wege ein: «Trophy» ist ihre erste Videoarbeit, in der sie Fotografien und Abbildungen in einem fliessenden digitalen Prozess bis zu ihrer vollständigen Auflösung in der Fläche demontiert. Sie animiert Standbilder und setzt gefundene Reproduktionen mit selber fotografierten Baumlandschaften zusammen. Sie erzählt so etwas wie eine Geschichte, die aber wie viele ihrer Werke uneindeutig bleibt: Aus einer weissen Fläche erscheint ein Mädchen mit blutroten Haaren, Pixel für Pixel. Kaum ist das Bild konstruiert, nehmen schwarze Pixel Überhand, bis sich das ganze Bild schwarz färbt und in der Dunkelheit wieder auflöst. Nur ein Stück Wald bleibt sichtbar – die Kulisse des Geschehens. Dann machen weisse Pixel das Bild langsam wieder heller, bis eine Waldlichtung sichtbar ist und sie nach und nach Boden und Bäume in eine weisse Schneedecke einhüllen. Ein schwarzer Wolf erscheint mit seiner blutgetränkten Beute und durchquert das Waldstück. Hinter einem kleinen Tännchen wirft er seine Trophäe ab und zottelt weiter. Der Wald hat eine zeichnerische Qualität angenommen und es scheint, als betrachte man eine Bleistiftskizze, durch die sich das Tier bewegt. Die Beute wird herangezoomt und das Bild zersetzt sich wieder, bis nur noch die schwarze Fläche ist. Die Künstlerin interessiert sich in ihren neuen Arbeiten stärker für die Eigenschaften der Fläche, wie sie sich auflöst, von schwarz auf weiss wechselt und dabei die Wirkung des Bildes verändert. Die Bildteilchen oszillieren stetig und schaffen ein Wechselspiel zwischen Addition und Reduktion von Pixel, Aufbau und Demontage der Landschaft.
Ebenso verändert sich das zeitliche Empfinden, das durch die fortlaufende Bewegung bedingt ist: der Tag wird zur Nacht und aus Sommer wird Winter, als wäre das Waldstück während eines Jahres dokumentiert und in einen Zeitraffer gesetzt worden. Der Wolf und das rothaarigen Mädchen eignet sich die Künstlerin, wie in früheren Arbeiten, als Ausschnitte aus Reproduktionen an und montiert sie in ihre Fotografien, bzw. in den Film. Sie löst Teile aus ihrem Kontext und schafft damit neuen Raum für Assoziationen. So könnten das Mädchen und der Wolf das Märchen „Rotkäppchen“ reflektieren. Doch das Mädchen ist eigentlich ein Abbild eines Butoh-Tänzers, dem die Künstlerin den roten Haarschopf hinzufügte. Als Erinnerungsbild kann der Tänzer für eine Vielheit von Anspielungen und Bedeutungen stehen: als Sinnbild für die japanische Kultur und den zeitgenössischen Ausdruckstanz, oder als eine Form der kritischen Haltung – denn entstanden ist die Tanzform im Zeitgeist der Anti-Amerika- Bewegung, als Protest gegen die entmenschlichten Zivilisationsformen des Atomzeitalters. Er kann aber auch zeitgenössische Kunstformen reflektieren, da der Butoh-Tanz seit den 70er und 80er Jahren als Spurenelement in europäischen Tanz- und Performancestilen zu finden ist.