Zeitschrift Du - Band 61/ 2001-2002
von: Fanni Fetzer

DAS GESICHT

Susanne Fankhauser
Das Obst soll rascher faulen, wünscht sich Susanne Fankhauser und lacht über ihre eigene Ungeduld. Seit vier Tagen liegen in einer Ecke ihres Arbeitsraumes Bananen, Äpfel, Orangen und blaue Trauben zu einem Stillleben nach alter Manier drapiert. Mit dem Fotoapparat hält Fankhauser den langsamen, aber steten Verfall der Früchte fest. Am Computer zusammengefügt ergeben diese Bilder einen dreistündigen Film, der - als Tafelbild an die Wand projiziert - das Verrotten der Früchte nur dem geduldigsten Kunstpublikum preisgibt. Wo die alten Meister die Vergänglichkeit in ihren Werken, durch krabbelnde Insekten, Schnecken auf Blütenblättern und Totenschädel darstellten, arbeitet Fankhauser direkt mit der Zeit.

Vergänglichkeit und Zeit sind wichtige Komponenten in ihrem Werk. Nach dem Besuch der Fachklasse für freies räumliches Gestalten an der Kunstgewerbeschule Basel schuf die Künstlerin verschiedene Rauminstallationen. Am Anfang stand die Idee, raumfüllend verschiedene Kunstwerke zusammenzutragen. Da beschloss Fankhauser, dafür nicht länger eigene Werke zu schaffen, sondern bereits realisierte Arbeiten anderer Künstlerinnen und Künstler zu verwenden. «Es wird so viel Kunst geschaffen, die Werke werden ausgestellt und dann - ich fragte mich, wohin all diese Kunst verschwindet», sagt Fankhauser rückblickend, und sie begann, einzelne Installationen von Hand abzuzeichnen, um sie vor der Vergesslichkeit des Publikums zu bewahren.

Das war 1994, heute stehen Computer in ihrem Arbeitszimmer in Zürichs Industriezone. Das im Bücherregal gestapelte «Kunstforum» ist Fankhausers Rohmaterial: «Ich verwende nur bereits publizierte Bilder, die ich scanne und bearbeite.» Dieses Bildmaterial wird von Fankhauser neu kombiniert; die Künstlerin mutiert dabei zur Kuratorin - oder zur DJ? Denn inzwischen findet sich in Kunst, Grafik, Mode, was in der Musik schon länger geschieht: das Prinzip Sampling. Diebstahl durch andere begründet den eigenen Erfolg. Vorbei die Zeit, als jede Künstlerin eine genuine Eigenständigkeit zu behaupten hatte, als jede Idee als geistiges Eigentum von ihrem Besitzer reklamiert wurde. Heute darf gestohlen, kopiert werden - vorausgesetzt, dass aus dem entwendeten Material etwas Neues, Interessantes, vielleicht sogar Besseres geschaffen wird. «Natürlich», schränkt die diebische Künstlerin ein, «setzt diese Arbeitsweise voraus, dass das Publikum meiner Arbeiten wenigstens einige der verwendeten Originale erkennt. Bekannte Werke veranschaulichen überhaupt erst, was ich tue.» In Fankhausers Montage spukt Bruce Nauman aus seinem Selfportrait as a Fountain in Marcel Duchamps Ready-made Pissoir fontaine.

Bei der Auswahl der Kunstwerke geht Fankhauser thematisch vor. Die Betrachter und das Kunstwerk (1996) beispielsweise fügt sie bearbeitete Abbildungen von Installationen inklusive der dazugehörigen Sitzgelegenheiten zu einem neuen Raum. Dieser neue Kunstraum, ausgedruckt auf grosse Tafeln, lehnt an der Wand des realen Ausstellungsraumes und setzt sich in den real für die Besucher bereitstehenden Stühlen fort. Die Tradition der Sitzbank in Museen nimmt das von der Künstlerin geschaffene Bild, aber auch der reale Raum auf. Wer vor dem Werk sitzt und die Legende mit der langen Liste der verwendeten Kunstwerke liest, kann die eigenen Kunstkenntnisse prüfen - denn selbstverständlich nennt Susanne Fankhauser ihre Quellen namentlich. Vielleichtwurde sie deshalb schon einmal von einem Künstlerfreund gebeten, das nächste Mal ein Werk von ihm zu verwenden, freut sich die Künstlerin verschmitzt.

SpielArt 2001, Spielposition - Screenshot
Demnächst werden unter: www.xcult.org/fank/ von SUSANNE FANKHAUSER geschaffene virtuelle Ausstellungsräume mit Kunstwerken aus ihrem Archiv zu besichtigen sein. Die Besucherinnen und Besucher haben die Möglichkeit, die Räume nach eigenem Gutdünken umzugestalten. Der Mausklick gibt Auskunft über das Originalkunstwerk. Aber Achtung: Roman Signers «Ballon» nicht zu nahe ans Fenster rücken, sonst fliegt er auf und davon.