Katalogtext Ausstellung Projektraum Kunsthalle Bern, 1998
von: Roman Kurzmeyer

Das Museum der Tiere

Susanne Fankhauser
Das Museum der Tiere 1998 Inkjet Print auf PVC - Blache, 300x 965cm
loupe
Die Zeichnung Das Museum der Tiere von Susanne Fankhauser ist ein monumentaler Inkjet Print von 300x 965 cm auf Kunststoff. Die für unsere Ausstellung konzipierte Arbeit ist klein, auf Bildschirmgröße erarbeitet und für die Präsentation im Projektraum industriell auf die Maße der Längswand gegenüber der Fensterfront vergrößert worden. Das Arbeitsmaterial der Künstlerin waren wie schon bei ihrer Rauminstallation Die Betrachter und das Kunstwerk (1996) Abbildungen von zeitgenössischen Kunstwerken. Wiederum hat sie ausschließlich Arbeiten verwendet, die schon reproduziert vorlagen. Die Künstlerin findet ihre Motive in Zeitungen, Zeitschriften, Katalogen und Büchern: Sie bearbeitet Ausschnitte der Reproduktionen am Computer. «Durch die stark stilisierende bildnerische Bearbeitung», schreibt die Künstlerin Christa Ziegler zur Arbeitsweise von Susanne Fankhauser, «werden die Elemente zu gleichgestellten Spielsteinen». Obschon Susanne Fankhauser in ihrer neuen Arbeit Abbildungen plastischer Werke verwendet, gilt ihre gestalterische Aufmerksamkeit besonders den Konturen und den Flächen ihrer Figuren.

Die Künstlerin sagt von der in Bern ausgestellten Zeichnung, sie ermögliche wie ein großes Fenster den Blick in ein Museum. Das Museum, in das Fankhauser den Betrachter führt, ist allerdings kein Gebäude. Es sind auch keine Menschen zu sehen: Kunstwerk und Betrachter lassen sich in diesem Bild-Museum nicht voneinander unterscheiden. Die Kunstwerke selbst bilden und sind das Museum. Sowohl die ausgestellten Kunstwerke als auch die betrachtenden Tiere sind Abbildungen künstlerischer Werke: Susanne Fankhauser zeigt in ihrer Zeichnung unter anderem Arbeiten von Braco Dimitrijevic, Mike Kelley, Lothar Baumgarten, Claudia Di Gallo, Jochen Gerz, Maurizio Cattelan, Katharina Fritsch, Robert Rauschenberg, Marie Jose Burki, Jeff Koons, Wim Delvoye, Charles Ray, Stephan Balkenhol, Paul Thek, Bruce Nauman, Abigail Lane, Ashley Bicker-ton, Joseph Beuys und Diego Giacometti. Den Titel Das Museum der Tiere hat sie um die mit den Reproduktionen aufgefundenen Angaben zu Künstler, Werktitel und Entstehungsjahr ergänzt. Die Sammlung, die Susanne Fankhauser zeigt, setzt sich aus Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Bedeutung zusammen. Aufnahme in die Sammlung haben nicht etwa Kunstwerke gefunden, die von der Kunstkritik, der Kunstgeschichtsschreibung oder der Künstlerin persönlich besonders geschätzt werden, maßgebend für die Auswahl war vielmehr die künstlerische Zielsetzung, in ihrer Zeichnung möglichst interessante Konfigurationen zu schaffen. Da Fankhauser mit Abbildungen arbeitet, war der durch den jeweiligen Photographen festgehaltene Blick auf ein Werk für die Auswahl entscheidend. Hätte die Künstlerin eine Arbeit in einer anderen Abbildung kennengelernt, hätte sie diese womöglich nicht in ihre Zeichnung aufgenommen, bestimmt aber nicht in jene Nachbarschaft kopiert, in der wir sie nun sehen. Susanne Fankhauser ist wie wir alle eine Kunstbetrachterin. Als Künstlerin ist sie zusätzlich eine Betrachterin der Kunstbetrachtung. Als Künstlerin, die mit Kunstwerken arbeitet, interessiert sie sich für deren konkrete Erscheinung und nur am Rande für die künstlerischen Konzepte, aus denen die Arbeiten hervorgegangen sind. Verzerrungen und Entstellungen, wie sie durch die photographische Reproduktion entstehen, sieht sie nicht als Fehler oder Differenz zur Vorlage, sondern im Gegenteil als das, was diese tatsächlich auch sind: Formen. Die Reproduktion weist bei Fankhauser nicht zurück auf ein Original. Die Reproduktion ist das Original, das die Künstlerin als Form interessiert.

Susanne Fankhauser suggeriert in ihrer Zeichnung eine Abfolge von Räumen. Sie tut dies allein mittels der Anordnung der Figuren. Sie verzichtet in ihrer Zeichnung auf Böden, Wände und Decken. Da, wo sie Wände eingezogen hat, waren diese schon auf der verarbeiteten Reproduktion Bestandteil des abgebildeten Werkes. Auf den ersten Blick scheint alles seine Ordnung zu haben, doch sobald das Auge durch das Bild zu wandern und die fiktive räumliche Situation zu erkunden beginnt, erweist sich diese Welt als endlos, bodenlos und orientierungslos. Die Elemente, die den Bildraum konstituieren, sind abzählbar. Die Farben auf dieser Zeichnung sind bunt, grell, unmoduliert. Sie halten Distanz zur Natur. Obwohl die abgebildeten Artefakte nicht nach den Regeln perspektivischer Darstellung angeordnet wurden, erzeugen die Beziehungen zwischen den Bildelementen Konfigurationen, die vom Auge als auszulotender Raum wahrgenommen werden. Die Anordnung und die wechselseitigen Beziehungen zwischen den abgebildeten Werken sind wichtiger als die einzelnen Bildfiguren. Das Einzelne ist auf dieser Zeichnung nur in der Kombination mit allen anderen Elementen von Bedeutung.

Der philosophische Relativismus besagt, daß nur die Verhältnisse der Dinge zueinander, nicht aber diese selbst erkennbar seien. Die Zeichnung von Susanne Fankhauser erinnert in dieser Hinsicht an Das imaginäre Museum des Spanienkämpfers und späteren französischen Kulturministers Andre Malraux (1901-1976). Dieses Museum ohne Mauern umfaßt alle Kunstwerke, die, wie der Kunstwissenschaftler Douglas Crimp schreibt, «der mechanischen Reproduktion unterworfen werden können und somit der diskursiven Praxis, welche die mechanische Reproduktion möglich gemacht hat: die Kunstgeschichte». Kunst, wie wir sie heute in unserer Kultur verstehen, entstand erst im 19. Jahrhundert, gleichzeitig mit der Photographie, dem Museum und der Kunstgeschichte als universitärem Fach. Das Museum machte aus einem höfischen Bildnis ein Gemälde und aus einem kirchlichen Ritualgegenstand eine Skulptur: Es löst die Werke aus allen räumlichen, sozialen und historischen Bindungen und ihren angestammten Funktionen, um sie zu ästhetischen Gegenständen zu erklären. Andre Malraux erkannte, daß das Verfahren der photographischen Reproduktion ermöglichen würde, erstmals überhaupt in der Menschheitsgeschichte eine Sammlung aufzubauen, die allen Menschen zugänglich sein würde und in der sich Werke verschiedenster Epochen und Kulturen vergleichen ließen. Die Vereinigung aller Meisterwerke in einem Museum war sein Wunsch, sein Projekt erinnert denn auch an die Idee des Gesamtkunstwerks. Malraux war sich bewußt, daß die Reproduktion das Werk nicht nur aus seinem Kontext herauslöst, sondern zusätzlich auch seiner Stofflichkeit beraubt. Zwar zeigt er sich davon überzeugt, daß sein Museum ohne Mauern die Intellektualisierung zum Äußersten treibe, doch lassen seine Formulierungen keinen Zweifel daran, daß jedes Stück seiner Sammlung einen Referenten in der Welt der Dinge hat. Das Museum ohne Mauern von Malraux ist ein Inventar und eine Phänomenologie. Seit Andre Malraux sein Museum entworfen und durch seine Publikationen für das Publikum zugänglich gemacht hat, ist die Reproduktionstechnik durch die neuen Medien revolutioniert worden. Der technische Fortschritt in der Bildverarbeitung ermöglicht Bilder, die wie Reproduktionen wirken, aber Erfindungen sind. Der Verwendungsmodus der Reproduktionen im Schaffen von Susanne Fankhauser zeigt, daß die Künstlerin Original und Reproduktion unterschiedlichen Ordnungen zuzählt. Ihr Museum zählt zur Welt der Bilder. Der Referent eines bearbeiteten Bildes ist in jedem Fall die Reproduktion und nicht deren Vorlage. Die Reproduktion wird nicht verwendet, um eine Wirklichkeit außerhalb der Darstellung zu repräsentieren, sondern um einen imaginären Ort zu schaffen.

Projektraum Kunsthalle Bern, 1998