Katalogtext Ausstellung Galerie Martin Flaig Basel, 2009
von: Irene Müller

Mixing Memory and Desire

Die schirmförmigen Fruchtsamen sind längst in alle Winde zerstreut und haben die Pusteblumen mit nacktem Blütenstand zurückgelassen. Ein wenig trostlos ragen die sterblichen Überreste des einst flockigen Strausses empor, schlanke grüne Stängel mit hellen Köpfchen und dunkler Blattkrause. Wie ein Geschenk präsentiert die Hand das lockere Gebinde. Ausbeute botanischer Streifzüge? Relikte einer vergangenen Liebe? Gleichsam in den luftleeren Raum des Blattes gesetzt, verweigert sich die Darstellung einer eindeutigen Lesart, sie entzieht jedem Versuch den Boden, die innerbildlichen Zusammenhänge weiter aufzuschlüsseln. Der Blick wird immer wieder auf die formelhaft wirkende Handhaltung gelenkt, deren Bedeutung sich unmittelbar aus dem Repertoire kulturell codierter Gesten ableiten lässt. Susanne Fankhauser greift in ihren Arbeiten auf Bilder unterschiedlichster Provenienz zurück, die sie seit Jahren sammelt und archiviert. Sie löst einzelne Sujets aus dem ursprünglichen Kontext, setzt die Motive – mitunter auch nur Detailformen oder «nebensächliche» Elemente – miteinander in Beziehung und verwebt sie zu neuen Konfigurationen. Im Rahmen dieses Arbeitprozesses unterzieht Fankhauser ihre Bildgegenstände einer Entschlackungskur, nutzt analoge und digitale Übertragungstechniken, um deren markantes Erscheinungsbild zu generieren. Die Reduktion auf die Silhouette, der homogene Strich und die prägnanten Farbakzente, die von den schwarzen Linien als monochrome Flächen aus- oder eingegrenzt werden, verleihen den Bildfiguren den Charakter von visuellen Destillaten. Die «unpersönliche» computergestützte Handschrift ist somit nicht nur Kennzeichen einer medienimanenten Ästhetik, sondern auch Mittel zur stilisierenden Vereinfachung.Mit dieser Darstellungsweise konzentriert Fankhauser die Aufmerksamkeit auf die rätselhaften Bildmotive, die um Themen von Körpersprache, mentalen Befindlichkeiten und Affektivität kreisen. Der menschliche Körper tritt als Ausdrucksmittel von Emotionen zutage, die darin eine zeichenhafte Verdichtung erfahren. Die in Ausschnitten gezeichneten Figuren, die fragementierten Körperpartien enthalten teils paradoxe Momente, die anatomischen Gegebenheiten widersprechen. So resultiert die Irritation, die von Arbeiten wie «Embrasse» oder «Love» ausgeht, aus der an sich unmöglichen körperlichen Disposition der Bildfigur:
Der Arm, der den Oberkörper umfasst, scheint auf unerklärliche Art verlängert, bis über die Grenzen seiner organischen Beschaffenheit hinaus gedehnt. Eine minimale, manieristisch anmutende Überzeichnung, die jedoch die Symbolkraft dieser Körperhaltung akzentuiert. In Rückkopplung mit dem tradierten Kanon allgemein verständlicher Körperbilder und sozialer Verhaltensformen erfährt das emotionale Potenzial, das der Umarmung anhaftet, seinen massgeblichen Impuls; in Einheit mit dem Körper als Medium gerinnt es zu einer Art «Pathosformel», die ebenso affektive Dimensionen in sich einschliesst wie auf die dahinterliegenden kulturellen und sozialen Praktiken verweist. Gestik und Mimik sowie deren Zusammenspiel sind wesentliche Elemente der nonverbalen Kommunikation, bei deren Entschlüsselung man auf eindeutige Signale angewiesen ist. In zwei Studien lotet Fankhauser die Bedeutungsdifferenz aus, die sich trotz strukturell identischer Gesten aus geringfügigen Verschiebungen ergibt. In jeder Zeichnung legt die Figur ihre Hände an die Schläfen, drückt die Fingerspitzen in die verformbar wirkende Kopfform. Die Gesichter sind leer und anonym, kein Strich charakterisiert eine wie auch immer geartete Gefühlsregung. Doch werden je nach Handhaltung und Neigungswinkel des Kopfs andere, diametrale Facetten des Deutungsspektrums wachgerufen: Konzentration oder Schmerz, Hilflosigkeit oder Begeisterung.
Ohne die mimische Ergänzung verharren die Köpfe in einem Zustand latenter Uneindeutigkeit, treten als ambivalente Formen der nichtrespektiven Verständigung in Erscheinung. Die Strategie der Aneignung nimmt in den aktuellen Arbeiten von Susanne Fankhauser einen zentralen Stellenwert ein. Die Widererkennbarkeit der dem Bildarchiv entnommenen «Vorlagen» steht dabei nicht im Vordergrund. Der Arbeitsprozess ist viel mehr darauf ausgerichtet, im Bild verborgene Bedeutungsebenen herauszuschälen, ihrer durch Verfahren wie Reduktion und Kompilation habhaft zu werden. Den Bildkonfigurationen sind somit Spuren von vertraut erscheinenden visuellen Momenten eingeschrieben, die trotz beziehungsweise aufgrund der Stilisierung in ihrer Essenz als kulturell und gesellschaftlich determinierte Gesten, Posen und komprimierte Handlungen erinnert werden.